Die „Gottes-Mauer“

Es war Krieg. In einer armen Hütte eines kleinen Dorfes lag ein gelähmter Junge. Dieses Dorf lag an der Straße, auf der sich die feindlichen Soldaten zurückzogen. Die Einwohner waren in Schrecken geraten. Sie machten sich zur Flucht bereit, denn sie wussten, die Soldaten würden nichts verschonen. Wer fliehen konnte, floh eilends davon. Das kleine Dorf war bald menschenleer. In der kleinen Hütte des Gelähmten wurden keinerlei Vorbereitungen getroffen. Der arme Kranke konnte nicht aus dem Bett. Seine Mutter, eine arme Witwe, hatte keine Freunde, die sich ihrer annahmen. Wohin sollte und konnte sie mit ihren kleinen Kindern und dem kranken Sohn fliehen?

Es war Abend geworden. Der kranke Knabe war sehr unruhig. Bald drängte er seine Mutter, sie solle ihn verlassen und sich retten. Dann aber hatte er Angst, wenn er daran dachte, dass sie es tun würde. „Die Nachbarn sind jetzt alle fort“, sagte er, „ich höre niemanden mehr. Es ist nicht recht, dass ich dich hier behalte. Nimm die kleinen Mädchen mit dir, Mama, und geh! Es ist noch nicht zu spät. Ich bin schon gut aufgehoben. Niemand wird einem hilflosen Knaben etwas antun.“ – Die Mutter antwortete: „Wir sind alle sicher. Gott wird uns nicht verlassen, wenn auch alle Menschen uns verlassen haben.“ – „Aber was kann uns erretten?“, fragte der Junge. „Wer kann uns vor den Grausamkeiten der Feinde bewahren? Ich habe schreckliche Geschichten über die Feinde gehört. Es sind keine Menschen mehr; es sind wilde Tiere. O, warum bin ich so schwach und hilflos, dass ich gar nicht helfen kann? Keine Kraft, um dich zu verteidigen; keine Kraft zu fliehen!“

„Es gibt eine sichere Mauer für die Hilflosen!“, antwortete die Mutter. „Gott wird so eine Mauer um uns bauen!“ – „Du bist meine einzige Hilfe, Mama“, sagte der Knabe. „Ich danke Gott, dass du mich nicht auch verlassen hast. Ich bin so schwach, ich halte mich an dich. O, verlass mich nicht! Ich glaube, ich höre schon die grausamen Soldaten kommen. Wir sind zu arm, um ihnen zu geben, was sie wollen. Darum werden sie zornig werden. Doch welch ein Recht habe ich, dich hier zu behalten! O, ich werde noch mehr leiden, wenn ich dich leiden sehe!“ „Gott ist unsere Zuflucht und Stärke!“, so tröstete die Mutter. Mit freundlichen, liebevollen Worten beruhigte sie ihren Sohn, so dass er bald wie seine Geschwister einschlief. Der Morgen, an dem die Feinde kommen sollten, brach an. Die Mutter und ihre Kinder sahen, als sie die Augen öffneten, dass Gott eine schützende Mauer gebaut hatte. Am Abend vorher war ein tiefer Schnee gefallen. Der Wind hatte ihn in der Nacht zusammengetrieben, so dass er das kleine Häuschen fast bedeckte. Der, der Wind und Wetter in seinen Händen hält, hatte eine Mauer um die Seinen gebaut. Mehrere Tage war die Witwe mit ihren Kindern vor den Feinden sicher vom Schnee verdeckt.

Die Feinde waren in diesen Tagen durch das Dorf gekommen und hatten alle Häuser geplündert. Den Reichen hatten sie ihren Überfluss und den Armen auch das Nötigste genommen. Aber die kleine Hütte der Witwe war unter dem Schnee versteckt und unversehrt geblieben. Gott hatte eine Mauer um seine Kinder gebaut, indem er in stiller Nacht den Schnee um das Haus aufgeworfen hatte.

Ausschnitt aus der Evangeliums Posaune. Lese weitere Artikel hier.